Wir brauchen mehr Naturschwärme – und die früh im Jahr
Bei den Zugvögeln ist es eine Überlebensstrategie: Wer möglichst früh im Jahr den Heimflug aus dem südlichen Winterquartier in die nördlich gelegenen Brutreviere antritt, kann als erster die besten Reviere besetzen, hat die Auswahl zwischen den geeignetesten Brutplätzen und kann seinen Nachwuchs zum richtigen, nahrungsreichen Zeitpunkt aufziehen und gut gerüstet in die Selbstständigkeit entlassen. Diese Strategie ist nicht ohne Risiko, denn dem Frühzieher können Wetterkapriolen und späte Wintereinbrüche seinen Plan durchkreuzen, in manchen Jahren auch mit Verlusten. Aber, im Kampf um die begrenzt verfügbaren Resourcen scheint es überlebenswichtig zu sein, früh im Jahr „auf Zack“ zu sein.
Übertragen wir dieses Gedankenspiel auf die wilden Honigbienen. Die überwintern zwar nicht im warmen Afrika, aber in ihrer geschützten Naturhöhle. Schon mit der Wintersonnenwende Mitte Dezember beginnen diese wieder ein kleines Brutnest zu unterhalten. Warum tun sie das, während es draußen frostig ist? Erstens: Sie können es sich leisten, denn ihre Naturhöhle ist bestens wärmeisoliert. Und zweitens, um im Frühjahr zur richtigen, nahrungsreichen Zeit eine ausreichend große „Mannschaft“ herangezogen zu haben, mit der die anstehenden Aufgaben -Nahrungsbeschaffung, Vorratshaltung und Fortpflanzung- bewerkstelligt werden können.
In unser vorangegangenen Rubrik „Schwarmpioniere“ haben wir gezeigt, wie extrem arbeitsreich und energieaufwändig die Gründung eines neuen Honigbienenvolkes ist. Dabei zählt jede Woche. Somit sind auch die wilden Honigbienen gezwungen, früh im Jahr „auf Zack“ zu sein und ihren Nachwuchs, die Schwärme, zeitig in der nahrungsreichen Zeit auf den Weg zu schicken. Oft schaffen es nur frühe Schwärme, meist Mutterschwärme, in der bis zum Winter begrenzten Zeit die notwendigen Überschüsse in Form von Honigvorräten anzulegen, ihrer Lebensversicherung, von der wir bereits sprachen.
Ob ein Jungvolk den ersten Winter überlebt oder nicht, hängt -neben dem richtigen Zeitpunkt- noch von weiteren Faktoren ab: Wurde das beste Revier besetzt? Konnte die geeignetste der verfügbaren Bienenbehausungen gefunden und bezogen werden? Ist das Bienenvolk bei der Erkundung und Ausbeutung von Trachtquellen geschickt? Kann sich das Volk erfolgreich gegen Feinde, Parasiten und Krankheiten zur Wehr setzen? Haben die Bienen ein gutes Jahr erwischt? Und viele Punkte mehr… Wenn wir den Imker aus dem Spiel lassen, müssen sich die Honigbienen den gleichen Überlebensfragen stellen, mit denen sich alle Tiere in der Natur konfrontiert sehen.
Die wilden Honigbienen sind auf all diese Herausforderungen eingestellt. Sie besitzen die notwendigen Eigenschaften und sie haben die richtigen Überlebensstrategien hierzu entwickelt, wenn wir sie nur lassen. Daher ist es unfair den Honigbienen gegenüber zu behaupten „frei fliegende Schwärme schaffen es ohnehin nicht den nächsten Winter zu überleben.“ Schwärme aus imkerlich betreuten Bienenvölkern werden oft durch schwarmverhindernde oder schwarmverzögernde Maßnahmen bis weit in den Mai bzw. Anfang Juni herausgezögert, wenn sie denn überhaupt schwärmen dürfen. Zu spät, um ohne imkerliche Hilfe den nächsten Winter zu überstehen.
Eins ist auch klar: So wie bei den Zugvögeln nur die Stärksten den anstrengenden und gefahrvollen Weg in das Winterquartier schaffen, überleben bei den Honigbienen nur die am besten Vorbereitetsten den ersten Winter. Verluste sind eingerechnet und werden von der Natur über eine starke Vermehrungsrate in guten Jahren ausgeglichen. Was wir brauchen sind also mehr Naturschwärme – und die früh im Jahr!
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