
Bienenwaben bekommt man üblicherweise nicht zu Gesicht, denn sie sind aus gutem Grund im Dunkeln der Honigbienenbehausung versteckt. Trotzdem hat nahezu jeder eine Vorstellung davon, wie eine Bienenwabe aussieht. Dabei hat sich in unseren Köpfen das Bild eines Holzrahmens festgesetzt, in dem sich eine rechteckige Bienenwabe befindet. Zur Kontrolle und zur Honigernte kann der Imker dank der beweglichen Rähmchen die einzelnen Bienenwaben, oft mit den darauf sitzenden Bienen, aus der Bienenbeute entnehmen, jeder von uns hat dieses Bild vor Augen. Zudem ist bekannt, dass Bienenwaben aus Wachs bestehen und die Wabenstruktur aus vielen sechseckigen Zellen aufgebaut ist. Die Symbolik im Zusammenhang mit Honigbienen und Bienenprodukten ist daher häufig vom Sechseck geprägt, ein sicheres Erkennungszeichen, das auf keinem Honigglas fehlen darf. Wir möchten auf diese Symbolik, die wir eng mit der Haltung der Honigbiene als Nutztier verbinden, möglichst verzichten, auch um dieses Mantra ein stückweit zu durchbrechen. Denn Bienenwaben sind viel mehr als dieses Bild in unseren Köpfen – wenn man erst einmal genauer hinschaut und den Honigbienen frei die Gestaltung ihrer Waben überlässt.

Geometrisch oder doch eher organisch?
Schaut man sich einen wild errichteten Wabenbau an, dann bekommt man eine Ahnung davon, dass das bekannte Bild von streng parallel angeordneten und viereckigen Waben, wie wir sie im Inneren einer gewöhnlichen Beute finden, nicht zwangsweise der Vorstellung der Bienen entspricht. Aus der Schwarmtraube heraus entsteht ein individuelles organisches Wabengebilde, welches beispielsweise die Innengeometrie der Bienenbehausung und weitere Umstände bei seiner Architektur berücksichtigt. So spielt die Größe und die Lage des Flugloches eine entscheidende Rolle bei der Klimatisierung der Bienenhöhle, dementsprechend wird auch eine individuelle Anordnung der Waben notwendig. Auch das Magnetfeld der Erde hat einen Einfluss darauf, wie die Bienen ihre Waben ausrichten, um einen zweiten von mehreren Einflussfaktoren zu benennen. Ich wage zu behaupten, dass die Bienen all das nicht ohne Grund tun.
Mobilbau kennt die Honigbiene nicht
In der Imkerei wird gewöhnlich mit Rähmchen gearbeitet, in die vom Imker sogenannte Mittelwände aus Bienenwachs auf gespannte Drähte aufgeschweißt werden. Diese Wachsplatten haben ein vorgegebenes Wabenmuster von dessen Grundriss aus die Bienen ihre Zellen errichten. Die Gabe der Mittelwand spart den Bienen Zeit und Energie beim Wabenbau und die Mittelwand vom Imker ist stabiler als die der Bienen, sodass die Wabe beim Schleudern des Honigs weniger beschädigt wird. Zudem bietet das Rähmchen die Möglichkeit die Waben jederzeit aus dem Volk zur Kontrolle zu entnehmen. Deshalb wird diese Art des Wabenbaus auch als Mobilbau bezeichnet. Ein Baukastensystem das sich aufgrund seiner einfachen Handhabung flächendeckend durchgesetzt hat. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass die Bienen den vorgegebenen Zelldurchmesser auf der Mittelwand „zwangsweise“ einheitlich ausbauen, was bei einer Naturwabe nicht der Fall ist. Da variieren die Zellgrößen auch innerhalb der „normalen Zellen“. Zudem verhindert die Vorprägung den Bau von Drohnenbrutzellen, die etwas größer sind als die „normalen Zellen“. Somit entsteht ein monotoner Wabenbau, der zudem noch verhindert, dass das Bienenvolk ausreichend Drohnen aufzieht, die jedoch dringend nötig sind für eine ausreichende Erbgutversorgung der Jungköniginnen.
Bitte nicht stören!
Was passiert, wenn ich eine Wabe aus dem Brutnest ziehe, um sie mir anzusehen? Zunächst einmal: In der Natur kommt eine solche Situation im besten Fall nicht vor, mit wenigen Ausnahmen wie beispielsweise einem Spechtangriff, einem Wabenabriss oder einem Sturmschaden, alles existenzielle Ausnahmesituationen für die Bienen! Beim Entnehmen einer Brutwabe wird das Mikroklima im Brutnest zerstört und die Brut dem Sonnenlicht ausgesetzt. Somit kann unterstellt werden, dass die Wiederherstellung des fein justierten Mikroklimas nach jedem Eingriff Mehrarbeit für die Bienen bedeutet, eventuell Stress auslöst oder mit einer Belastung für die Bienen und deren Brut einhergeht. Es sollte also immer gründlich abgewogen werden, ob ein Eingriff wirklich zwingend erforderlich ist.
Ein wildes Durcheinander
Die Praxis sieht jedoch anders aus. Aus eigener Erfahrung weiß ich um den achtlosen Umgang mit den Waben, die ich beliebig entnommen, verschoben und unter den Völkern getauscht habe. Während der Honigernte zum Beispiel werden alle reifen Honigwaben entnommen und nach dem Schleudern des Honigs wieder zurückgegeben. Durch die Arbeitsabläufe kommt es zu einem wilden Durcheinander, sodass zumeist nicht dieselben Waben wieder in die richtigen Völker zurückgehängt werden und dabei auch noch in ihrer Reihenfolge und Ausrichtung getauscht werden. Geht man davon aus, dass die Anordnung der Waben eine Bewandtnis für die Bienen hat, ist das nichts anderes als eine Katastrophe.
Wabenwanderung und Stockwerksbau
Das lässt sich noch steigern indem ich das gesamte Volk im Zuge einer Trachtwanderung an einem anderen Standort bringe und damit das Wabenwerk gegenüber Himmelsrichtung und Magnetfeld der Erde neue ausrichte. Auch das ist ein Vorgang den die mitteleuropäische Honigbiene so nicht kennt, denn Bienenbäume und damit Bienenkollonien stehen fest an ihrem Standort verwurzelt. Und somit ist davon auszugehen, dass die Bienen nur wenige Möglichkeiten haben auf einen solchen Standortwechsel zu reagieren, um diesen entsprechend zu kompensieren. Ein weiteres Beispiel für einen Vorgang, den die Natur so nicht vorgesehen hat, ist die Erweiterung des Honigraumes durch das Aufsetzen einer Zarge, also eines zusätzlichen Stockwerkes des Bienenkastens. Hierbei ist zu bedenken, dass die Bienen ihre Waben immer von oben nach unten bauen und eine Erweiterung des Wabenwerkes nach oben diesem Grundprinzip zuwider läuft.
Volksteilung unnatürlicher Art
Indem die Rähmchen aus der Wabe ein bewegliches Bauteil werden ließen, haben wir vergessen, dass jede Wabe der Bienen natürlicherweise ihren festen und unverrückbaren Platz hat. Erst durch den Mobilbau eröffnete sich die Möglichkeit, dass wir zum Beispiel Brutableger bilden können. Hierbei werden einem Volk Brutwaben entnommen und daraus ein neues Volk gebildet. Dabei wird der Legedruck auf die Königin des Muttervolkes erhöht. Aufgrund der unnatürlichen Brutraumgröße von gewöhnlichen Magazinbeuten ist das Brutnest sowieso schon größer als es bei einem wilden Bienenvolk der Fall wäre. Somit legt die Königin viel mehr Eier als es von Natur aus vorgesehen ist. Das führt zu einer geringeren Lebenserwartung, weshalb die Königinnen für gewöhnlich alle zwei Jahre „ersetzt“ werden müssen. In der Summe eine Volksteilung der unnatürlichsten Art.
Geheimnisvolles Wabenwerk
Das Thema Waben ist so vielfältig, dass wir es in diesem Artikel nicht ausführlich behandeln können. Klar ist: Bienenwaben sind mehr als Lagerraum für Honig und Pollen und ein geeigneter Aufzuchtplatz für die Brut. Waben dienen der fein justierten Klimatisierung, sie sind Kommunikationsplattform, geruchlicher Fingerabdruck und -da sind wir uns sicher- kollektives Gedächtnis der Honigbienenkolonie. Bienenwaben sind nichts Statisches sondern sie sind veränderlich: Sie wachsen -noch weiß und frisch- aus der Schwarmtraube heraus, sie dienen im Jahresverlauf verschiedensten Zwecken, sie altern und verändern ihr Aussehen über die Jahre ihrer Nutzung und werden am Ende entweder von den Bienen selbst abgetragen oder von den Wachsmotten recycelt. Wir glauben, dass die Waben noch viele Geheimnisse bergen. Deshalb sollten wir mit ihnen genauso achtsam und respektvoll umgehen, wie mit den Bienen selbst, denn es ist ein Körperteil der Bienen, kein Bauteil unseres Baukastensystems.
Externe Links zum Thema
Jürgen Tautz, Phänomen Honigbiene, Kapitel 7 „Das größte Organ der Bienenkolonie – Wabenbau und Wabenfunktion“, Springer Spektrum, 2012
Naturbau – Das sind die Vorteile, Norbert Poeplau, bienen&natur, 04/2021
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